Am 20. März 2015 wurde in einer kurzen Mitteilung des vatikanischen Pressesaals mitgeteilt, dass Papst Franziskus den Verzicht des schottischen Kardinals Keith Michael Patrick O’Brien auf die Rechte und Privilegien des Kardinalsamtes angenommen habe. Dem 1938 geborenen früheren Erzbischof von Saint Andrews und Edinburgh wird Fehlverhalten im sexuellen Bereich zur Last gelegt. Papst Benedikt XVI. nahm, nachdem die Presse am 23. Februar über „unangemessenes Verhalten“ berichtet hatte, das Rücktrittsgesuch des Erzbischofs zum 25. Februar 2013 an, drei Tage, bevor er sein Amt als Papst und Bischof von Rom am 28. Februar 2013 niederlegte. O’Brien bat in diesem Zusammenhang auch darum, auf die Teilnahme am Konklave 2013 verzichten zu dürfen, was gewährt wurde. Am 15. Mai 2013 gab der Vatikan bekannt, O’Brien werde aus denselben Gründen, aus denen er nicht am Konklave teilgenommen habe, Schottland nach Absprache mit dem neuen Papst Franziskus für einige Monate zum Gebet, zur geistlichen Erneuerung und zur Buße verlassen. Diese Zeit führte ihn offensichtlich dazu, auf die Kardinalswürde zu verzichten.
Der Verzicht auf die Rechte und Privilegien der Kardinalswürde, die im Codex Iuris Canonici von 1983 in Canones 349- 359 festgelegt sind, ist ein sehr seltenes Ereignis.
Einer der bekanntesten Kardinäle, die auf die Rechte und Privilegien des Kardinalats verzichteten, war Cesare Borgia, der Sohn von Papst Alexander VI., der von diesem 1493 im Alter von 18 Jahren zum Kardinal kreiert wurde. 1498 ließ er sich von seinem Vater in den weltlichen Stand zurückversetzen. In den Jahren 1588 – 1823 verzichteten 16 Kardinäle auf ihre Privilegien und Rechte. Neben religiösen Gründen – Kardinal Odescalci verzichtete 1823 auf die Kardinalswürde, um als einfacher Jesuit zu leben – war ein wichtiger Grund auf den Verzicht der häufig aus hohen Adelshäusern stammenden Kardinäle der Fortbestand der eigenen Dynastie. So verzichtete z. B. Fernando di Medici (1549-1609), auf den die Villa Medici in Rom zurückgeht, 1588 auf das Kardinalsamt, welches er im Alter von 14 Jahren erhalten hatte. 1589 heiratete er Christine von Lothringen, mit der er neun Kinder hatte. Doch nicht immer war der Verzicht auf die Kardinalswürde aus dynastischen Gründen von Erfolg gekrönt. Die Ehe des in seiner Zeit als Generalgouverneur der spanischen Niederlande als wichtigster Mäzen von Peter Paul Rubens und der niederländischen Kunst seiner Zeit bekannten Albrecht VII. von Österreich blieb kinderlos. Der Sohn von Kaiser Maximilian II. wurde 1578 zum Kardinal kreiert. Er verzichtete im Juli 1598 auf die Kardinalswürde und wurde im Dezember 1598 von Papst Clemens VIII. mit der Schwester des spanischen Königs Felipe III., der Infantin Isabel Clara Eugenia, vermählt.
Vor Keith Michael Patrick O’Brien legte 1927 der französische Jesuitenkardinal Lois Billot, der 1911 von Pius X. zum Kardinal kreiert worden war, sein Amt nieder. Er stand der Action Francaise sehr nahe, die von Papst Pius XI. verurteilt worden war. Da er keine Bischofsweihe empfangen hatte, lebte er anschließend als einfacher Jesuitenpater in einer Jesuitenkommunität.
Martin Bräuer