Einen anregenden und erkenntnisreichen Austausch zu Gegenwart und Zukunft des Verhältnisses von Kirche und Staat in Deutschland konnte ein interessiertes Publikum zum Auftakt der gut besuchten „Bensheimer Winterakademie“ in der Evangelischen Stephanusgemeinde miterleben.

Rebecca Müller, Professorin am Theologischen Seminar Herborn, führte in die besondere Situation hierzulande ein, in der aus der Geschichte eine „hinkende Trennung“ der beiden Institutionen erwachsen sei. Im ersten, historisch-beschreibenden Teil ihres Vortrags ging sie auf die Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche bei Martin Luther („Zwei-Reiche-Lehre“) ein, ferner auf das landesherrliche Kirchenregiment, die langsame Entflechtung von Kirche und Staat im 19. und 20. Jahrhundert bis hin zu den Regelungen nach dem Grundgesetz.

Im zweiten, praktisch-theologischen Teil beschäftigte sich Prof. Müller mit der Entwicklung von Kirche zu einer Organisation in der Zivilgesellschaft, geleitet von der Fragestellung „Wie kann Kirche mit ihrem Auftrag öffentliche und öffentlich wirksame Kirche bleiben?“ Die beiden großen kirchlichen Gemeinschaften sieht Müller in einem beständigen Prozess der Anpassung und Neuorientierung, wobei ihnen gerade in der pluralen Zivilgesellschaft ein wichtiger Platz zukomme.

Carsten Simmer, Finanzchef der Evangelischen Kirche in Deutschland, erweiterte diese Ausführungen um einen Blick auf die Kirchenfinanzen. Dabei betonte er die besondere Bedeutung der Kirchensteuer, die als planungssichere und sozial gerechte Finanzierungsform vorteilhaft für die Kirche, durch die von den Kirchen an den Fiskus gezahlten Gebühren aber auch für den Staat sei.

Für nachdenkliches Erstaunen sorgte Simmers Verweis darauf, dass die Kirchensteuer unter Berücksichtigung sozialer und einkommensrelevanter Kriterien nur von den einkommensstärksten 49 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder gezahlt werde, 51 Prozent also keine Kirchensteuer entrichteten.

Ein hochsolidarisches System, das mit freiwilligen Beitragszahlungen nicht zu erreichen sei. So werde beispielsweise ein Platz in einer Kindertagesstätte mit durchschnittlich 1000 Euro aus Kirchensteuern bezuschusst, so dass der finanzielle Aufwand kirchensteuerpflichtiger Eltern, die eine solche Einrichtung nutzten, mehr als ausgeglichen werde – ein Faktum, das in der öffentlichen Diskussion häufig weder bekannt sei noch angesprochen werde.

Das Publikum konnte sich an einer lebhaften Diskussion beteiligen, in der unter anderem über Alternativen zur derzeitigen Kirchenfinanzierung nachgedacht wurde.

Weitere Veranstaltungen der Winterakademie beleuchten das Thema „Kirche der Zukunft – Zukunft der Kirche“ mit Blick auf „Gemeinde(leben) und Digitale Kirche und „Zukunft der Gemeinde“ (16. März). Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr in der Stephanusgemeinde, Eifelstraße 37. Einlass ist ab 19 Uhr, der Eintritt ist frei.

Quelle: Bergsträßer Anzeiger 

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