Ein klares „Nein“ zu dieser Frage kommt von Annette Weissenrieder. Sie ist Professorin für Neues Testament an der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale) und forscht seit langem zum Verhältnis von Medizin und Glaube in der Antike. Auf der 112. Bundestagung des Evangelischen Bundes zum Thema „Glaube und Gesundheit“, zu der der über 80 Teilnehmende aus dem ganzen Bundesgebiet nach Dresden gekommen waren, hat sie den ersten Vortrag gehalten.
Heilung und Vergebung
Ihren Untersuchungen zufolge ist die Ablehnung der Vorstellung von Krankheit als Strafe Gottes im Neuen Testament sehr stark – obwohl die Frage danach auch in der Antike gestellt wurde. Bei flüchtiger Betrachtung könnte man in dem Text von der Heilung eines Gichtbrüchigen (Mk 2) eine solche Deutung vermuten, weil ja die Heilung erst erfolgt, nachdem ihm die Sünden vergeben wurden. Hier stellt Annette Weissenrieder heraus, dass es sich um zwei getrennte Vorgänge handelt, die genau das Gegenteil verdeutlichen: Jesus vergibt sowohl Sünden und bewirkt auch Heilung. Es geht gerade um die Differenz von Heilung und Vergebung. Jesus beansprucht mit der Sündenvergebung göttliche Autorität, die er allein durch die Heilung nicht beanspruchen würde. In Gottes Gegenwart geschieht beides, aber die Heilung ist keine Beigabe zur Sündenvergebung. Im Übrigen zeichnet besonders das Lukasevangelium ein Bild, bei dem das frühe Christentum in großer Nähe und Übereinstimmung mit der rationalen Medizin der Antike agiert. Jesus wird dort als Arzt dargestellt, der sich den Kranken zuwendet.
Gegenwart Gottes spürbar machen
In der Krankenhausseelsorge gibt es ganz verschiedene Erfahrungen. Von diesen berichtete eindrucksvoll Pfarrer Michael Leonhardi, Klinikseelsorger am Universitätsklinikum Dresden. Ein Teil der Patienten ist krank, aber mit Gottes Hilfe auf dem Weg der Gesundung. Andere sind und bleiben körperlich krank,
sind aber dennoch heil – sie haben in Verbindung mit Gott einen gewissen Frieden mit ihrer Situation gefunden. Bei wieder anderen ist vieles krank und gar nichts heil. Sie könnten zwar in ihrer Situation Trost und Zuspruch aus dem Evangelium sicherlich gut gebrauchen, sind aber für religiöse Fragen überhaupt nicht ansprechbar. Deren Anteil ist im Osten Deutschlands gar nicht so gering. Dann gibt es noch diejenigen, die zwar körperlich, geistig und sozial auf einem guten Weg, also bald medizinisch gesund sind, aber geistlich leer und gar nicht heil. Mit geduldigem Zuhören, Liedern und Gebeten, vorsichtigen Berührungen gelingt es hin und wieder, ein Fenster für die Gegenwart Gottes zu öffnen.
Die Rolle der Alternativmedizin
Im Bereich der sogenannten „Alternativmedizin“ hat es schon immer eine starke Verbindung mit Esoterik gegeben. Deren Selbststilisierung als „sanfte Medizin“ lässt die wissenschaftliche Medizin im Gegenüber als „brutale“ Medizin erscheinen und wertet sie damit ab. Dabei ist die Esoterik noch viel stärker marktorientiert. Sie verbreitet einen mitunter unrealistischen Heilungsoptimismus und offeriert selbst viele Apparate und Techniken, mit denen man angeblich Gesundheit herstellen könne. Das kritisierte Kirchenrat Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern in seinem Beitrag. Verschwörungserzählungen und die Esoterik eint, dass sie einen besonderen Erkenntnisanspruch vertreten – ein Überwissen, das im Fall der Esoterik nur „sensitiven“ Erleuchteten zugänglich sei.
Religion in der Therapie
Wieviel Religion in der Therapie ist erlaubt? Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurde u.a. dieser Frage nachgegangen. Glaubensvorstellungen von Patienten können einen großen Einfluss auf den Verlauf einer Krankheit und den Erfolg einer Behandlung haben – zum Guten aber auch zum Schlechten. Die „Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde“, hat vor einigen Jahren ein Positionspapier zu dieser Frage erarbeitet. Darin gibt es eine wichtige Unterscheidung: Auf Seiten der Patienten ja, auf Seiten der Therapeuten nein. Die kulturellen und religiösen Prägungen der Patienten sollten den Therapeuten bekannt sein, damit sie in der Behandlung berücksichtigt werden können. Zu einer ganzheitlichen Behandlung gehört es, auch Glaubensvorstellungen einzubeziehen. Die religiösen Überzeugungen der Therapeuten hingegen dürfen nicht den Patienten übergestülpt werden. Es gehört zur medizinischen Berufsethik, nur die Methoden einzusetzen, die zu den professionellen Standards im jeweiligen Bereich gehören. Eine Sensibilität für religiöse Fragen ist aber in jedem Fall nützlich.
Vielseitiges Rahmenprogramm
Neben den thematischen Fachvorträgen und Gesprächsrunden, die hier nur ausschnittweise vorgestellt werden konnten, gab es ein vielseitiges Rahmenprogramm mit ökumenisch-theologischen, kulturellen und touristischen Schwerpunkten. Der Ökumenische Lagebericht des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim hat als „Update Ökumene“ einen festen Platz bei den EB-Jahrestagungen – diesmal mit Live-Zuschaltung aus Großbritannien. Beim sächsischen Abend gab es Informatives sowie Musik und Tanz mit den „Landeskirschen“ – der Band aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamtes Sachsens. Exkursionen führten in die Architektur des Meißener Doms, auf dem Schiff nach China im Pillnitzer Schlosspark, zu Fuß durch den Dresdner Barock bis zum Deutschen Hygiene-Museum Dresden, bevor mit einem festlichen Gottesdienst in der Kreuzkirche die Tagung ihren Abschluss fand.
Im Jahr 2023 steht die Einladung nach Ulm. Vom 5. bis 7. Oktober gibt dort das 50-jährige Jubiläum der Leuenberger Konkordie Anlass, über die Zukunft der Ökumene nachzudenken.