Am 30. Juni 1972 hielt der damalige Direktor des Predigerseminars Gnadau, Heino Falcke, auf der Synode der evangelischen Kirchen in der DDR in Dresden einen Hauptvortrag mit dem Titel „Christus befreit – darum Kirche für andere“. In der ostdeutschen Kirchengeschichte war dieser Vortrag ein wichtiger Wendepunkt. Geboren wurde Falcke 1929 in Westpreußen und studierte in Berlin, Göttingen und Basel Evangelische Theologie. 1952 beschloss er als Pfarrer in die DDR zu gehen. 1958 wurde er in Rostock promoviert und 1961 erfolgte die Habilitation. Zunächst trat er eine Pfarrstelle in Wegeleben an, um dann ans Predigerseminar Gnadau zu gehen. Von 1973 bis zu seinem Ruhestand 1994 war er Propst in Erfurt.
In seinem Vortrag bestimmte er die Stellung von Kirche im realexistierenden Sozialismus neu. Dabei scheinen seine theologischen Wurzeln bei Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer in der Argumentation durch. Er tritt für eine Kirche ein, die sich nicht auf sich selbst zurückzieht, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe hat. Er wollte der Resignation, die sich nach der Niederschlagung des Prager Frühlings ausbreitete, wehren. Die Mündigkeit des Christenmenschen sah er begründet in der Freiheit, die Christus schenkt.
„Weil Christus sie befreit, darum kann Kirche für andere da sein. Die Befreiung, die von Christus ausgeht, kommt aber nicht in der Kirche zum Ziel. Sie zielt auf die kommende Gottesherrschaft als das Reich der Freiheit für alle Menschen. Darum soll Kirche für andere da sein und den befreienden Dienst Christi für alle Menschen bezeugen.“
(H. Falcke, Einmischungen, Leipzig 2014, S. 83)
Gerade die Vorstellung, dass der DDR-Sozialismus verbessert werden könnte und müsste, war für die Machthaber eine nur schwer erträgliche Aussage und macht ihn zum Staatsfeind. Eine zweistellige Zahl von Mitarbeitern der Stasi beobachteten ihn. Mit seinem Plädoyer, Kirche für andere zu sein und die Türen der Kirchen aufzumachen, hat er einen Beitrag auf dem Weg zur Friedlichen Revolution in der DDR geleistet. Unter dem Obdach der Kirche fanden sich nun Umwelt-, und Friedensgruppen ihren Platz. Auch in der Ökumene engagierte er sich stark und half den Konziliaren Prozess in den Kirchen in der DDR zu verankern. Auch nach seiner Pensionierung hat er immer wieder das Wort ergriffen.
Auch wenn der Vortrag von 1972 in eine bestimmte geschichtliche Situation hineingesprochen ist, bliebt er in vielen Aussagen aktuell. In der vergangenen 50 Jahren hat sich die Welt grundlegend gewandelt. In anderer Weise befinden wir uns in der Lage, dass Kirche kleiner wird und stärker mit sich selbst beschäftigt. Fragen zum Verhältnis von Kirche und Staat werden in den kommenden Jahren neu gestellt werden. Dabei wird es auch darum gehen, wie wir Kirche aus dem Geist der Freiheit, Mündigkeit und Offenheit für andere gestalten können.
RJ
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