Das Ende der Monarchie in Deutschland im Herbst 1918 war auch für den Evangelischen Bund ein tiefer und folgenreicher Einschnitt in seiner Geschichte. Noch lange danach sprach man von der „Schmach des 9. November“, die „die Mächte des Abgrundes entfesselt“ hätte und vom „Triumph des Marxismus, der Christusgegner und Gottesfeinde“. Demokratie und Republik wurden weithin abgelehnt. Das Wartburgprogramm von 1921 bestimmte die Bundesarbeit in den drei folgenden Jahrzehnten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs: Im Evangelium erkannte man „das höchste, ewige Gut, die Kraftquelle und den Gesundbrunnen jeden Volkstums und in dem deutschen Volkstum das höchste zeitliche Gut“. In Luthers Person und Werk sah man den „vollzogenen Bund zwischen Evangelium und deutschem Geist“.
Die noch junge ökumenische Bewegung wurde kritisch verfolgt. Im 1923 gegründeten „Internationalen Verband zur Verteidigung und Förderung des Protestantismus“ (später Protestantischer Weltverband) war der Evangelische Bund personell und organisatorisch stark engagiert. Dazu kamen gesellschaftliche Veränderungen: Der durch Rundfunk und Film bedingte Wandel im Geselligkeitsverhalten und die wirtschaftliche Not der Nachkriegszeit führten zu einer wachsenden Vereinsmüdigkeit. Landeskirchen und der vom Evangelischen Bund begrüßte Deutsche Evangelische Kirchenbund übernahmen eine Reihe seiner bisherigen Aufgaben, beispielsweise durch die neu entstandenen Presseverbände. In den Kundgebungen zu brisanten politischen und kirchlichen Fragen wurde zwar stets die parteipolitische Neutralität betont; gleichzeitig wurde aber vor allen Wahlen vor der Politik der Linksparteien und des Zentrums gewarnt. Der vergebliche Kampf gegen die Konkordate jener Zeit endete im Ruf nach entsprechenden evangelischen Kirchenverträgen.
Zerreißproben im Kirchenkampf
Zwischen 1932 und 1935 kam es zu heftigsten Richtungskämpfen, als deutsch-christlich Orientierte um den rheinischen Pfarrer Hermann Kremers (1860-1934) und den Bundesdirektor Wilhelm Fahrenhorst (1873-1941) den Nationalsozialismus nicht als Partei, aber als „Volksbewegung“ und „integrale Ordnungsmacht“ zur Wiederherstellung der deutschen Freiheit und Stärkung des kirchlichen Einflusses begrüßten. Die volksmissionarische Forderung „Sammeln und nicht zerstreuen!“ war unter diesen Vorzeichen nicht mehr vermittelbar.
Als der Lutherforscher Heinrich Bornkamm (1901-1977), der schon in dem seit 1928 bestehenden „Akademischen Freundesrat“ kritische Worte zum Weg des Bundes gefunden hatte, im April 1935 das Präsidentenamt übernahm (bis 1963), wurden die Weichen anders gestellt. Forderungen nach einer „Evangelischen Nationalkirche“ wurde genauso widersprochen wie dem „Deutschglauben“ und dem „völkischen Neuheidentum“. Versuche eines kirchenpolitischen Mittelwegs, gemeinsam mit anderen Verbänden durch Kirchenausschüsse den Kirchenkampf positiv beeinflussen zu können, sind gescheitert. Mit dem Reichskonkordat von 1933 und dem Ende des politischen Katholizismus konnte dieser „ohne die Polemik der Nadelstiche“ zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen werden. Vor und während des Zweiten Weltkrieges kam es zu einem enormen Rückgang der Mitgliederzahl: 1932 ca. 300.000, 1943 noch 104.000. Mit der kriegsbedingten personellen und materiellen Einschränkung der Arbeit und der völligen Zerstörung der Reichsgeschäftsstelle in Berlin 1943 und vieler Geschäftsstellen der Hauptvereine war die Zukunftsfrage doppelt gestellt.
Das Konfessionskundliche Institut als Neuorientierung der Arbeit nach 1945
Auf Betreiben Wolfgang Suckers (1905-1968) wurde 1947 mit der Gründung des Konfessionskundlichen Instituts als wissenschaftlicher Arbeitsstätte des Evangelischen Bundes in Bensheim ein neuer Weg beschritten: Als Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wurde „evangelische Selbstbesinnung“ in ökumenischer Verantwortung betrieben und als „Gegner eines antikatholischen Affektes“ die gesamte Christenheit „zur Konversion zum Evangelium“ gerufen.
Als Folge der neuen konfessionellen Situation in Deutschland sollten Leben und Lehre aller christlichen Kirchen und Konfessionen in Geschichte und Gegenwart erforscht und für den ökumenischen Dialog ausgewertet werden. Durch Tagungen für verschiedene Multiplikatoren, durch Beratung kirchlicher Gremien und besonders durch die seit 1950 erscheinende Zeitschrift „Materialdienst“ und die „Bensheimer Hefte“ zu aktuellen ökumenischen Fragen erlangte das Institut und damit sein Träger schrittweise wissenschaftliche, gesamtkirchliche und ökumenische Anerkennung.
Walter Fleischmann-Bisten