Ostern, was für ein Fest! Der Sieg des Lebens über den Tod. Jesus von Nazareth ist auferweckt worden. Der Liquidierte, der Hingerichtete, der bis zum letzten Ende Liebende, in der Konfrontation mit der Finsternis tritt er in Erscheinung als Licht der Welt, das aufwachen lässt von bösen Träumen, das zielsicher uns sucht, unsere Augen leuchten lässt im Morgenglanz der Ewigkeit.
Wenn Jesus Christus auferweckt worden ist, dann ist Schluss mit dem Absturz, Schluss mit den Mächten und Gewalten. Sein Sieg entmächtigt jenes finstere Ende, das Tod heißt, indem er es verwandelt: Aus einem scheinbar letzten Wort wird Umbruch und Übergang – das Verwandlungswunder schlechthin. Jetzt wird in der unsäglichen menschlichen Schwäche, im Sterben, im Tod, die Kraft Gottes mächtig. Und seine Auferstehungsgnade genügt. Indem Gott selbst es im Kreuz Jesu mit dem Tod aufgenommen, ihn ausgehalten, ihn in seinem ewigen Leben sich hat aus-wirken, aus-sterben lassen, ist mit dem Tod selbst etwas passiert: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“, sagt Paulus: “Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1. Korinther 15,55). Über Nacht ist alles anders geworden. Etwas ist zersprungen. Jemand ist dazwischen gegangen. Jetzt ist es offenbar: Der allmächtige Gott hat es mit dem Nichts aufgenommen. Und dabei kommt es zum Erstickungstod des Todes. Das nichtende Nichts, für immer ist es in Gottes ewigem Leben gebannt, für immer dort festgehalten.
So hat Gott den Versehrten ins Recht gesetzt: als die Liebe, die stärker ist als der Tod. Abgeräumt hat er das alte Regime mit seinem Angst einflößenden Verneinungs- und Vernichtungstreiben. Aufgesprengt: die scheinbar bruchlose Einheit von Gewissheit und endgültigem Tod. Das Grauen, das wie ein Stein auf den Menschen gelegen ist, ist aufgehoben. Der Vater Jesu Christi, der die Grenze zwischen Leben und Tod eingerissen hat zugunsten des Lebens, er ist nun Grund unserer Hoffnung. Aber: Sie ist gefährlich. Gefährlich für alle, die Schwache treten und über Arme hinwegmarschieren; für die, die Feindbilder in die Herzen von Menschen pflanzen und mit Waffen Gewalt ausüben. Dabei aber verkennen, dass Krieg stets nur Verlierer hervorbringt.
Mit Entsetzen erleben wir gerade, wie die Friedensordnung Europas, auf die wir uns lange allzu selbstverständlich verlassen haben, brutal außer Kraft gesetzt wird. Fassungslos müssen wir mit ansehen, wie Städte aus Flugzeugen bombardiert und mit Panzern beschossen werden. Wie Menschen Schutz suchen in U-Bahnschächten, ihre zerstörten Wohnungen verlassen – aus Angst um ihr nacktes Leben. Sprachlos macht uns die Skrupellosigkeit, mit der Machtinteressen und hegemoniale Ansprüche über die Achtung der Menschenwürde und das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung gestellt werden. Wir stehen vor den Trümmern einer Ordnung, von der wir uns nicht hatten vorstellen können, dass sie je auf eine derart hemmungslose Weise missachtet wird. Angst und Schrecken, Wut und Ohnmacht befallen unsere Herzen.
„Nie wieder Krieg!“ „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“ Das war die Lehre aus den verheerenden Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts. Als „Protestleute gegen den Tod“, wie Christoph Blumhardt der Jüngere die österlichen Menschen bezeichnet, sind wir darum aufgerufen, den Frieden zu bewahren, Trennendes zu überwinden und Konflikte zivilisiert auszutragen.
„Ich lebe“, sagt Jesus, „und ihr sollt auch leben!“ (Johannes 14,19). Es ist, als ob es eine kurze Pause gäbe, eine unendliche Pause, bis dieses Wunder geschieht: „Ihr ebenso, Du ebenso. Wie ich – so auch Du mit mir. Ich werde Dir bleiben. Das ewige Leben – hier hast Du es.“ Das ist unverhoffte Anteilgabe, freilich wie über einen Abgrund hinweg. Seine Liebe, die nie mehr aufhört, umgreift ihn. Kein Raum wird dem Tod letztlich mehr bleiben. Diese österliche Verheißung Jesu, sie befreit aus Verzagtheit und lässt uns den weiteren Weg gehen: getrost und mit lebendigem Trotz! Nein, Ostern lässt die Lebensgeschichte Jesu nicht einfach hinter sich, sodass man ihrer nicht mehr gedenken muss. Ostern qualifiziert vielmehr das Kreuz Jesu zum Heilsereignis. Der uns voran in die herrliche und freie Zukunft Auferweckte ist der für uns am Kreuz Gestorbene. Nicht in unendlichen Forderungen oder in Träumen der Fantasie, sondern im Angesicht des Gekreuzigten sieht uns die Herrlichkeit des auferweckenden Gottes an. Aus seiner Erniedrigung kommt unsere Erhöhung. Durch seine Höllenfahrt wird den Gebundenen der Himmel der Freiheit eröffnet. Darum bleibt für die Befreiten das Kreuz Jesu das Zeichen der Hoffnung auf dieser Erde. Eben das spiegelt sich auch im Leben der Glaubenden wider. Mitten im Geschrei der gequälten Kreatur rufen die Kinder Gottes trotzdem: „Abba, lieber Vater“ (Römer 8,15). Das ist die Frucht ihrer Christusgemeinschaft, in der „die Kraft der Auferstehung“, wie Paulus sagt (Philipper 3,10), mit der Gemeinschaft der Leiden Christi verbunden bleibt. Die Teilhabe am Triumph Gottes über den Tod führt in die Nachfolge des Gekreuzigten hinein, in die Gemeinschaft mit den Verlassenen, denen Jesus zum Bruder geworden ist. Das klingt wie ein Widerspruch, ist aber in Wahrheit eine unausweichliche Entsprechung. Nur wer zum Glück fähig ist, dem wird eigenes und fremdes Leid zum Schmerz. Wer lachen kann, kann auch weinen. Und wer in der Hoffnung auf ein Leben in Ewigkeit lebt, lebt in der Gegenwart, im Augenblick. Und ist darum fähig, die Welt auszuhalten: zu trauern mit den Leidenden, aber auch Widerstand zu leisten und den Mächten der Verschwörung und der Zerstörung zu trotzen.
Seit Anfang April sind die meisten Corona-Einschränkungen weggefallen. Über zwei Jahre hat uns nun schon die Pandemie im Griff – und bedroht noch immer weltweit Leben, Gesundheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Viel zu viele führte sie in die Katastrophe. Menschen mussten sterben oder sind nach schwerer Krankheit weiterhin beeinträchtigt. Unzählige stehen vor dem wirtschaftlichen Ruin oder sind davon bedroht. Ganz zu schweigen von den seelischen Langzeitwirkungen von Einsamkeit und fehlenden sozialen Kontakten: Leiderfahrungen, die jenes Gerede, das Krisen sofort als Chance sehen will, zynisch wirken lassen. Nein, keine Zeit wird durch Katastrophen gereinigt. Kein Krieg fegt zu gutem Neuanfang die Erde blank. Keine Pandemie macht aus sich heraus Leiber und Seelen wieder heil. Stattdessen braucht es die Unterbrechung, den klärenden Blick durch die erneuernde Kraft Jesu Christi: dass wir nicht Herren im eigenen Haus sind, sondern Geschöpfe – verletzlich, verwundbar, endlich. Dass unsere Pläne und Sicherheiten brüchig sind. Unser Ich: gefährdet, angewiesen auf solidarische Kräfte des Beistands, der Hilfe und Unterstützung. Dabei stets Bonhoeffers Zeilen aus seinem Neujahrsgedicht im Ohr: „Ach Herr, gib unseren aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast“ (EG 65,2). Wann immer möglich, können und sollen wir weitergehen, aufgeschreckt und bange, aber auch hilfsbereit gerade denen gegenüber, die jetzt in der Ukraine und in anderen Katastrophengebieten dieser Erde unsere Empathie und Solidarität so bitter notwendig brauchen. Denn „das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden“ (2. Korinther 5,17). Neu: durch den Systembruch der Auferweckung Jesu von den Toten und seine alles tragende Liebe. „Tod, wo ist dein Sieg?“ „Tod, wo ist dein Stachel?“ Vorbei, weg, überwunden ist er! Darum lasst uns aufstehen und einstimmen in den Osterjubel und dem sich mit Gewalt noch aufbäumenden Tod, wenn auch unter Tränen, entgegensingen: “Heut triumphieret Gottes Sohn“ (EG 109,1).

CS

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Dr. h.c. Christian Schad
Präsident Evangelischer Bund e.V.