Ist das der Todesstoß für das erste gemeinsame Konzil aller orthodoxen Kirchen seit dem Mittelalter? Nur sechs Tage vor dem geplanten Beginn auf der griechischen Mittelmeerinsel Kreta sagte die russisch-orthodoxe Kirche am Montagabend ihre Teilnahme ab. Sie fordert wie zuvor schon vier andere der 14 orthodoxen Landeskirchen eine Verschiebung der „Großen und Heiligen Synode“. Damit droht das Kirchentreffen auf Kreta zu scheitern oder auszufallen.
Dem obersten Leitungsgremium des Moskauer Patriarchats, dem Heiligen Synod, ging es bei seiner Entscheidung, dem Treffen fernzubleiben, nach eigenen Angaben nur um Schadensbegrenzung. Was ist schlimmer: die Absage des Konzils auf Kreta oder seine Durchführung trotz ungelöster Streitfragen und der Weigerung der Kirchen von Bulgarien, Georgien und Antiochien daran teilzunehmen? Für Moskau eine klare Sache. Besser sei die Verschiebung auf unbestimmte Zeit.
Die Absage der mit Abstand größten orthodoxen Kirche hatte sich in den vergangenen Tagen angedeutet. Das Konzil solle die Einheit der orthodoxen Kirche stärken, sagte der Außenamtschef der russisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Hilarion laut Kirchenangaben von 12. Juni. „Unter keinen Umständen darf es zur Teilung beitragen.“ Doch dies drohe nun, weil bereits vier Kirchen beschlossen hätten, dem Konzil wegen Vorbehalten gegen einzelne Punkte in den sechs Vorlagen fernzubleiben. „Ein Konzil kann nicht panorthodox sein, wenn eine Landeskirche nicht teilnimmt, und erst recht, wenn es gleich drei sind“, so der Metropolit.
Russlands Kirchenspitze sieht sich keineswegs als Verhinderer des Konzils, sondern als kluger Moderator, der die Orthodoxie einen wolle. Der Moskauer Patriarch Kyrill I. kritisierte bei der Sondersitzung des Heiligen Synod hingegen das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, weil dieses den Vorschlag der russisch-orthodoxen Kirche abgelehnt habe, noch vor dem Konzil ein Sondertreffen aller orthodoxen Kirchen abzuhalten. Bei diesem hätten die Probleme beseitigt werden sollen, wegen der eine „Reihe von Kirchen“ ihre Konzil-Teilnahme abgesagt hätten, so das Kirchenoberhaupt. Man habe konstruktiv versucht, das Konzil zu retten, argumentiert das Moskauer Patriarchat. Den Schwarzen Peter für die jetzige Krise der Orthodoxie schiebt es Konstantinopel zu. Das federführende Ökumenische Patriarchat nehme die Bedenken der einzelnen orthodoxen Kirchen nicht ernst und wolle trotz Absagen mehrerer Kirchen ein Rumpfkonzil durchziehen. Das eine die orthodoxe Kirche nicht, sondern spalte sie, heißt es in Moskau.
Konstantinopel betrachtet das Moskauer Patriarchat freilich als Störenfried. Die russisch-orthodoxe Kirche habe die Kirchen von Bulgarien, Serbien, Georgien und Antiochien mit Sitz im Libanon ermuntert, das Konzil zu boykottieren. Nun begründe Moskau die Absage seiner Konzil-Teilnahme auch noch mit dem Fernbleiben der kleineren orthodoxen Kirchen. Der Machtkampf zwischen den Patriarchaten von Moskau und Konstantinopel spitzt sich durch die Konzil-Krise deutlich zu. Einen echten Gewinner gibt es nicht. Doch Konstantinopel scheint mehr zu verlieren als Moskau. Das Zustandekommen des Panorthodoxen Konzils auf Kreta wäre ein großer Erfolg des Ehrenoberhaupts des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., gewesen. Das nun drohende Scheitern ist ein herber Rückschlag für ihn.
In Russland fieberte dem geplanten historischen Konzil anders als in Konstantinopel niemand entgegen. Im Gegenteil: Es gab viele Vorbehalte. Viele Geistliche misstrauen den „schlauen Griechen“. Deshalb kann das Moskauer Patriarchat problemlos den eigenen Gläubigen und Priestern die Absage erklären. Doch ob sich das Moskauer Patriarchat durch seinen Kurs, wie angestrebt, zum wichtigsten Machtzentrum der Orthodoxie entwickelt, bleibt abzuwarten. Ihm gehören etwa die Hälfte der an die 300 Millionen orthodoxen Christen weltweit an. Doch seinen Einfluss kann es vor allem durch geschickte Diplomatie mehren. Die kurzfristige Absage der eigenen Konzil-Teilnahme war aber wohl eher kein Meisterstück Moskaus.

Oliver Hinz

Ökumenische Information 24/14.06.2016 kna