Herrlichstes Frühsommerwetter in Warschau empfing die in- und ausländischen Gäste der ersten Frauenordination in der evang. Kirche A.B. in Polen am 7. Mai. In einem festlichen Gottesdienst in der wieder aufgebauten klassizistischen Dreifaltigkeitskirche ordinierte Bischof Jerzy Samiec neun Diakoninnen zu Pfarrerinnen.

Polnische und ausländische Bischöfe und kirchliche Würdenträger_innen zogen feierlich ein und viele in- und ausländische Pfarrer_innen füllten in ihren Talaren die ersten Reihen der voll besetzten Kirche. Ein englisches Textheft ermöglichte auch Ausländern dem in polnischer Sprache gefeierten Gottesdienst zu folgen, an dem ich als Vertreterin des Gesamtdeutschen Theologinnenkonvents teilnahm.

Es war ein Wiedersehen mit vielen polnischen Theologinnen aus Gemeinden von Szczecin (Stettin) bis Cieszyn (Teschen), Warschau, Wroclaw (Breslau) bis Krakau. Einige EB-Frauen kennen sie von vier deutsch-polnischen Theologinnen-Konferenzen, die der EB zusammen mit der Synodalen Frauenkommission der polnischen evang. Kirche A.B. und der Gustav-Adolf-Frauenarbeit zwischen 2006 und 2014 organisiert hatte, um die Polinnen in ihrem Kampf um die Frauenordination zu unterstützen. Zwar hatte Bischof Samiec schon bei der Konferenz 2014 zur grenzenlosen Überraschung und Freude aller Teilnehmerinnen seine Unterstützung angekündigt, doch die polnische Synode lehnte weiter ab. Am 16. Oktober 2021 stimmte sie endlich mit großer Mehrheit dafür. In dem vom polnischen Fernsehen live übertragenen Festgottesdienst schilderte der Bischof seinen Weg von klarer Ablehnung noch bei seiner Wahl 2010 zum Fürsprecher 2014 und seiner Freude, nun 2022 neun Frauen ordinieren zu dürfen.

Ein 70 Jahre langer Kampf endet. Seit 1999 konnten Theologinnen Diakonin werden, predigen und den schwarzen Talar mit Beffchen tragen, später auch Abendmahlsfeiern leiten. Doch das Pfarramt und das über dem Talar getragene weiße Chorgewand mit Spitzensaum blieb ihnen verwehrt, nur Männer hatten die Wahl. Dabei sind die Frauen theologisch ebenso gut ausgebildet, erklärte Bischof Samiec in seiner Ansprache. „Warum?“ Weil die Kirche nicht erkannt hatte, dass Christus alle beruft, ungeachtet des Geschlechts.“

Ihre guten Erfahrungen mit den Diakoninnen aber hätten viele Gemeinden überzeugt, sie sähen die Früchte dieses Dienstes. Darum sei jetzt „die Zeit Gottes für unsere Kirche, Frauen zu Leiterinnen-Hirtinnen zu ordinieren, damit sie das Evangelium nach Kräften predigen“.

Vor ihrer Ordination bekannten die Diakoninnen mit der Hand auf der Originalausgabe einer aus dem 16. Jahrhundert stammenden Bibel ihren lutherischen Glauben. Dann wurden sie einzeln vom Bischof ordiniert, assistiert von je zwei Geistlichen (oft ihr Ehemann und/oder Sohn, zweimal auch Diakonin Aleksandra Blahut-Kowalczyk). Danach bekleideten die Assistenten sie mit dem Chorrock.

Pfarrerin Halina Radacz, Vorsitzende der Synodalen Frauenkommission und Chefin der Ökumenischen Redaktion beim polnischen Staatsfernsehen, erinnerte in ihrer Predigt an die frühe polnische Theologin Irena Heitze, geb. Golar, die nach dem 2. Weltkrieg in Masuren wirkte. Ein erstes Grußwort überbrachte der Vizepräsident des Luth. Weltbunds, Erzbischof Urmas Viilma aus Estland. Weitere folgten beim Empfang im Garten, der auch viel Gelegenheit zur persönlichen Begegnung bot.

Sabine Ost

Sie möchten gerne mehr zum Prozess der ersten Frauenordination in Polen erfahren? Gerne können Sie die Chronologie dieser großartigen Entwicklung hier nachverfolgen.

TN