Papst Franziskus hat am Donnerstag als erstes katholisches Oberhaupt der Geschichte vor dem Kongress in Washington gesprochen. Unter Verweis auf den vor 150 Jahren ermordeten US-Präsidenten Abraham Lincoln (1809-1865), den er einen „Hüter der Freiheit“ nannte, warnte Franziskus vor Extremismus ebenso wie vor einer Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und vor Versuchen, die Welt in Gerechte und Sünder zu unterteilen.

Die Rede von Papst Franziskus in einer Arbeitsübersetzung des Vatikan:

„Wir alle sind uns der beunruhigenden sozialen und politischen Situation der Welt heute sehr bewusst und über sie besorgt. Unsere Welt ist in zunehmendem Maß ein Ort gewaltsamer Konflikte, von Hass und brutalen Grausamkeiten, die sogar im Namen Gottes und der Religion verübt werden. Wir wissen, dass keine Religionsgemeinschaft gegen Formen individueller Verblendung oder gegen ideologische Extremismen gefeit ist. Das bedeutet, dass wir gegenüber jeder Art von Fundamentalismus – sowohl auf religiösem als auch auf jedem anderen Gebiet – sehr aufmerksam sein müssen. Es bedarf einer feinen Ausgewogenheit, um die im Namen einer Religion, einer Ideologie oder eines Wirtschaftssystems verübte Gewalt zu bekämpfen und zugleich die Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit und die persönliche Freiheit zu schützen.
Doch es gibt noch eine andere Versuchung, vor der wir uns besonders hüten müssen: Es ist der grob vereinfachende Reduktionismus, der die Wirklichkeit in Gute und Böse oder, wenn Sie wollen, in Gerechte und Sünder unterteilt. Die heutige Welt mit ihren offenen Wunden, unter denen so viele unserer Brüder und Schwestern leiden, verlangt, dass wir jeder Form von Polarisierung entgegentreten, die eine Aufteilung in diese beiden Kategorien versucht. Wir wissen, dass wir in dem Bestreben, uns von dem äußeren Feind zu befreien, in die Versuchung geraten können, den inneren Feind zu nähren. Den Hass von Tyrannen und Mördern nachzuahmen ist der beste Weg, um ihren Platz einzunehmen. Das ist etwas, das Sie als Volk zurückweisen.
Unsere Antwort muss dagegen eine Antwort der Hoffnung und Heilung, des Friedens und der Gerechtigkeit sein. Wir sind aufgefordert, den Mut und die Intelligenz aufzubringen, die vielen aktuellen geopolitischen und wirtschaftlichen Krisen zu lösen. Auch in der entwickelten Welt sind die Auswirkungen ungerechter Strukturen und Handlungen allzu offensichtlich. Unsere Bemühungen müssen darauf ausgerichtet sein, wieder Hoffnung zu geben, Ungerechtigkeiten zu korrigieren, Verpflichtungen treu einzuhalten und so das Wohl der Einzelnen und der Völker zu fördern. Wir müssen gemeinsam und geschlossen vorangehen, in einem neuen Geist der Brüderlichkeit und der Solidarität, und hingebungsvoll für das Gemeinwohl zusammenarbeiten.“

(KNA)