Der Junge Evangelische Bund in Deutschland bietet einmal jährlich ein interdisziplinäres Werkstattangebot für Studierende, Promovierende, Habilitierende und junge Berufstätige an, die aktive Glieder der evangelischen Kirche sind. Die Werkstatt am Präbichl findet in Vordernberg in der Steiermark in Österreich statt.

Die fünf Tage gemeinsamen Lebens bieten einen Raum zum Erfahrungsaustausch und zur Diskussion gegenwärtiger und praxisrelevanter Themen der Theologie und Kirchentheorie. Für die Diskussionseinheiten bereitet jede*r ein Impulspapier vor, gerne auf dem Hintergrund aktueller Arbeits- oder Forschungsprojekte. Das Werkstattformat lebt dabei auch von seinem Veranstaltungsort direkt an der Skipiste: einem alten, rustikalen Pfarrhof mit Kachelofen, Doppelzimmern und gemeinsamen Bad. Dort miteinander leben, reden, kochen und die winterliche Natur genießen verbindet und eröffnet manchmal neue Perspektiven auf unser Thema. Fragen zum beruflichen Weg in der Kirche haben ihren Ort genauso wie das Kennenlernen der Evangelischen Kirche in Österreich.

Der Eigenanteil beträgt 120 € pro Person.
Die Teilnehmendenzahl ist auf acht Personen begrenzt.

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Zwölfmal Gemeinsames Leben
Die Werkstatt am Präbichl bereichert den Evangelischen Bund
von Sigurd Rink

Kein Weg ist zu weit, wenn es für den Jungen Evangelischen Bund in Hessen und weit darüber hinaus wie in jedem Jahr heißt:  Auffi zur Faschings­werkstatt in den Almhäusern am Präbichl in der Obersteiermark. Der ehemalige Pfarrhof aus dem 16. Jahrhundert beherbergte seit 1987 zunächst Jugendgruppen der Gemeinden Usingen und Falkenstein im Taunus und seit dem neuen Jahrtausend dann den Nachwuchs des Evangelischen Bundes. Dessen damaliger Geschäftsführer, Alexander Gemeinhardt, entwickelte die Idee, Nachwuchskräfte zu sammeln und in einer Art Retraite einmal im Jahr an den Präbichl zu rufen. Für drei bis vier Tage sammeln sich seitdem Menschen ganz unterschiedlicher Profession dort, um miteinander zu leben, zu kochen, in der Ramsau zu wandern und theologisch miteinander zu arbeiten. ,,Gemeinsames Leben” hätte Dietrich Bonhoeffer das genannt. Inzwischen sind die Mittzwanziger von damals Mittdreißiger geworden, bevölkern Gemeinden, Akademien, Seminare, Kirchenverwaltungen und tragen den Elan dieser winterlichen Auszeiten in die Ebenen kirchlicher Wirklichkeit.

688 Kilometer trennen den Hauptbahnhof in Frankfurt am Main vom Präbichl. Und die Retraite beginnt mit dieser Reise, sei es im Eurocity nach Leoben, sei es im Bulli durch das Eis und den Schnee des Februars. Passau, Wels, Liezen und dann ab ins Gesäuse – am Stift Admont mit seiner großartigen Bibliothek vorbei – nach Eisenerz mit seiner surrealen, riesigen Stufenpyramide des Erzbergs. Da werden erste Kontakte geknüpft unter den Teilnehmenden und nicht selten wachsen schon erste Freundschaften. An den Almhäusern angekommen heißt es oft erst mal Schnee schippen, die Kachelöfen anheizen, Betten beziehen. Das Haus ist bitterkalt hinter den meterdicken Mauern; umso wärmer ist den jungen Männern und Frauen ums Herz. Nun rasch noch „happy food” gekocht, eine Bergsteigerportion Pasta, und ab in die Falle.

Der Morgen beginnt strahlend. Die frischen Semmeln sind beim Bäcker in Vordernberg geholt, die Melange gekocht und alles wartet auf eine Morgenandacht. Oft hält sie Matthias Ullrich, der Vorsitzende des Landesverbands in Hessen. Sechs, acht, zehn junge Menschen sitzen um den langen Esstisch, wärmen sich gegenseitig und singen nach Leibeskräften.

Dann rasch den Tisch aufgeräumt und los geht es mit einer ersten Arbeitseinheit. Jede*r der Teilnehmer*innen hat ein Werkstück mitgebracht. Sei es eine Präsentation, ein Kapitel der Doktorarbeit, eine theologische Idee zur Kirchenentwicklung. Nach einem “call for papers” ist jeder und jede darauf eingestellt, seine Gedanken zu teilen. Das geschieht in der Praxis gegenseitiger Wertschätzung, ganz ohne Konkurrenzen und ohne Imponiergehabe. Also auch ziemlich anders, als man es aus manchem Pfarrkonvent oder Oberseminar kennt. Wer hierher kommt – oft auch mehrfach-, der tut es zur eigenen Erbauung und zum gegenseitigen Miteinander-und-aneinander-Lernen. Da sitzt ein Historiker neben einer Physikerin, eine Philosophin neben einem Diakoniepräsidenten, und unter allen entwickelt sich so nach und nach ein “spirit”, ein Geist, den man so fast nur in diesem alten Gebäude des Pfarrhofs erlebt.

Es mögen wohl an die einhundert junge Menschen jetzt schon gewesen sein, die diese besondere Atmosphäre erleben durften. Und oft ist es nicht die schriftliche Einladung, sondern die Mund-zu-Mund-Propaganda, die für das nächste Jahr wirbt.

Nach diesem frischen Morgenbeginn geht’s raus an die frische Luft. Die einen wandern miteinander im autofreien, stillen Talkessel, die nächsten machen Skilanglauf im Nordischen Zentrum der Eisenerzer Ramsau, die nächsten versuchen sich in der naturbelassenen Polsterrinne beim gewagten Abfahrtsski auf der Buckelpiste. Die Bewegung, das Licht, der Schnee tun gut, beleben die Gedanken und verflüssigen die Verhärtungen, die sich in der jahrelangen wissenschaftlichen Arbeit ergeben. Polster und Eisenerzer Reichenstein rufen und geben einem das Gefühl menschlicher Größe oder besser: menschlichen Maßes. Der klare Sternenhimmel, unberührt von Licht­verschmutzung, tut das Seine dazu.

Am ersten Sonntag der Fastenzeit, Invokavit, geht es zum Gottesdienst nach Trofaiach. In der Schlosskirche belebt sich der Gesang mit den zwei Bänken derer aus Deutschland. Wie überhaupt das Thema “Evangelische Kirche in Österreich” zum Pflichtprogramm dieser Tage gehört.
Wie viel können junge Menschen aus Hessen, wo mancherorts über 90 Prozent evangelischen Glaubens sind, von einer echten Diaspora-Kirche lernen, gerade für die Zukunft!

Der Nachmittag gehört der denkerischen Arbeit. Oft gibt es zwei Referate und Aussprachen. 60 bis 90 Minuten währt das, und alle gehen bereichert aus diesen oft völlig diversen Themenfeldern hervor. “Verantwortung bei Immanuel Kant” -wer hat sich darüber vorher schon ein Bild gemacht? Oder „Die Zukunftsagenda der Diakonie”: Wer wüsste dazu etwas zu sagen?
Nicht selten gehört auch ein halber oder ganzer Tag der gegenwärtigen und zukünftigen Kirchenentwicklung. “Quo vadis, ecclesia?” Das ist ein Feld, das ganz viele Teilnehmende anspricht in gemeindlichen, kirchlichen, akademischen Handlungsfeldern. Das Esszimmer wandelt sich zum Seminarraum, Meta-­Plan-Wände werden aufgestellt, die barocke Zimmertür wird zum Flip-Chart. Und hinten bollert der Kachelofen mit selbstgespaltenem Fichtenholz und bringt das Zimmer von 12 auf 22 Grad.

Des Abends wird gemeinsam gekocht. Oder man entdeckt steirische Spezialitäten in der Küche des benachbarten Gasthauses Langreiter, wo Elke das „Saure Rindfleisch” vom eigenen Ochsen oder den Steirer Kas oder den Saubohnensalat mit Kernöl so zubereitet wie wie kaum eine andere. Und wer dann immer noch Energie hat, nimmt sich einen Schlitten und rodelt die alte Passstraße im Flutlicht herunter oder spielt eine Runde “15-obi” geselliges Kartenspiel.

Nach dem Abendsegen ist dann für manche*n schon ganz früh Schluss. Die Höhenluft zwischen 1.100 und 1.800 Metern Seehöhe fordert ihren Tribut. Es sollen aber auch Nachteulen schon weit nach Mitternacht gehört worden sein.

Spätestens Aschermittwoch geht es auf Heimreise in Deutsche Lande. Und manchen wird’s schwer ums Herz, wenn es darum geht, die Stille und Ruhe des Berges zu verlassen. Aber alle wissen doch auch, dass es nach der Kommunität am Präbichl wieder zurückgehen muss in den Trubel des täglichen Lebens. Zuhause wartet die Gemeinde, der Partner, die Familie, die Uni, die Arbeit. Und doch hat sich etwas verändert in diesen wenigen Tagen der vertieften Gemeinschaft.

Die, die einmal mit waren am Präbichl, sozusagen die Präbichlianer, bleiben zumeist in einer guten Verbindung. Manchmal sieht man sich eine Weile nicht, aber dann begegnet man sich wieder und ist urplötzlich wieder miteinander vertraut. Und vielleicht erfüllt sich ja darin auch ein Sinn des Evangelischen Bundes. “Fellowship”, wie es im Englischen heißt. Nachfolge, wie es Dietrich Bonhoeffer in einem Buch nennt und wie er es mit seinen Vikaren in Finkenwalde vorgelebt hat. Da wird ein Bund geschlossen im klaren Bewusstsein einer Nachfolge Christi. Eines gemeinsamen Werte-und Normenhorizonts.

Solche Momente und Begegnungen sollte man in einer Zeit nicht gering­schätzen, wo das Design der eigenen Persönlichkeit, die Kuratierung des eigenen Lebens übermächtig zu werden scheint. Die Individualisierung schreitet munter voran, und die großen Institutionen, also auch die Kirchen, stehen unter einem enormen Druck.

Da braucht es Zeiten der Selbstvergewisserung, auch der Beheimatung. Wo finde ich meinen “purpose“, meinen Sinn, meine Bestimmung? Denen, die einmal an der Werkstatt am Präbichl teilgenommen haben, sind solche Gedanken nicht ferne. Sie sammeln sich unter dem EINEN, von dem schon am Hauseingang auf einer selbstgeschnitzten Holztafel die Rede ist. Dort steht in Schönschrift geschrieben:

„Gott segne dieses Haus und alle, die darin gehen ein und aus.”

Zum Autor:
Pfarrer Dr. Sigurd Rink, Jg. 1960, seit 2002 stellvertretender Präsident des Evangelischen Bundes, 2002-2014 Propst für das Nassauer Land, 2014-2020 Militärbischof der EKD, seitdem in Leitungsfunktion für die Diakonie Deutschland. Sein jüngstes Buch „Können Kriege gerecht sein?” erschien 2019 bei Ullstein, Berlin.