‚Menschenrechte kennen keine Grenzen‘ – hieß es in einem Gemeinsamen Wort der Kirchen zur Interkulturellen Woche im Mai 2020. „Sie gelten auch für Flüchtlinge und Schutzsuchende in Europa, an dessen Rändern und vor den Toren unseres Kontinents“, erklärten der Vorsitzende des Rates der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing und der Vorsitzende der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland, Metropolit Augoustinos.

Nicht immer und nicht überall herrscht solch eine ökumenische Einigkeit in der Bewertung der Menschenrechte. Deshalb widmete sich die vom Konfessionskundlichen Institut organisierte 65. Europäische Tagung für Konfessionskunde am 19. und 20. Februar 2021 den Menschenrechten in historischer und systematischer Perspektive und fragte danach, in welchen Nuancen sich die einzelnen konfessionellen Wahrnehmungen unterscheiden.

Den einleitenden Hauptvortrag dazu hielt Prof. Dr. Friedrich Lohmann von der Universität der Bundeswehr in München. Er gab einen Überblick über die Definition, die Geschichte und die theologischen Grundlagen der Menschenrechte. Dabei machte er deutlich, dass Menschenrechte nicht etwas Erfundenes sind, sondern entdeckt werden. Sie sind nach seiner Meinung auch nicht biblisch direkt ableitbar, aber man findet in der Bibel an verschiedenen Stellen deutliche Anhaltspunkte für die Menschenrechte.

Es folgten Impulsreferate aus evangelisch-landeskirchlicher (Pastor Malte große Deters), römisch-katholischer (Prof. Dr. Ingeborg Gabriel), östlich-orthodoxer (PD Dr. Mihai Grigore), pfingstlicher (Pastor Cyrill Tchamda), evangelisch-methodistischer (Prof. Dr. Ulrike Schuler), orientalisch-orthodoxer (Diakon Sherif Rezkalla), evangelisch-baptistischer (Prof. Dr. Andrea Strübind) und adventistischer (Prof. Dr. Stefan Höschele) Sicht. Dabei wurde deutlich, dass heute in der Sache alle Kirchen die Menschenrechte unterstützen, dass aber viele anfangs den Menschenrechten skeptisch gegenüberstanden. Die Bewertung der Menschenrechte und der Umgang mit ihnen wird beeinflusst von der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Situation. Ob eine Kirche als Minderheit in einer ansonsten nicht-christlichen Umgebung existiert, oder ob sie ein enges Verhältnis zum jeweiligen Staat hat, ob sie verfolgt wird oder eine gesellschaftliche Oberschicht repräsentiert, – all das hat Auswirkungen auf ihre Haltung zu Menschenrechtsfragen. Bis heute gibt es – auch in Kirchen – Tendenzen, die Menschenrechte zum eigenen Vorteil zu missbrauchen oder dazu zu benutzen, um eigene (konservative) Anliegen durchzusetzen, wie es bei der „neuen Rechten“ in den USA beobachtet werden kann. Es zeigte sich, dass die theologischen Begründungen der Menschenrechte keineswegs eindeutig sind.

Im zweiten Teil der Tagung wurde am Beispiel einer Debatte aus dem Jahr 2009 die Frage nach konfessionellen Unterschieden in der Begründung der Menschenrechte vertieft. Damals hatte die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ein Dokument zum Thema „Menschliche Würde, Freiheit und Rechte“ veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Darauf hatte die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) in einer Stellungnahme reagiert, was durch weitere Beiträge auch von römisch-katholischer Seite zu einer ökumenischen Debatte führte. Diese Diskussion wurde hier noch einmal aufgenommen und weiter gesponnen – unter Einbeziehung einiger von denen, die sich damals zu Wort gemeldet hatten. Prof. Dr. Jennifer Wasmuth vom Institut für Ökumenische Forschung in Straßburg führte in die Diskussion von 2009 ein. Ernest Kadotschnikow, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für orthodoxes Christentum an der Universität Erfurt erläuterte die Hintergründe, die zur skeptischen Haltung der ROK gegenüber den Menschenrechten geführt haben. Prof. Dr. Stefan Tobler vom Theologischen Institut an der Universität Hermannstadt (Rumänien) zeigte auf, dass die Widersprüche zwischen ROK und GEKE nicht wirklich fundamental sind. Und Prof. Dr. Barbara Hallensleben von der Universität Fribourg (Schweiz) schlug vor, das Verständnis der Menschenrechte in einen weiteren Rahmen zu stellen durch die Unterscheidung zwischen Leben als solchem und ‚gutem Leben‘.

Deutlich wurde in der lebhaften sich anschließenden Diskussion, dass es zwar unterschiedliche Auffassungen gibt im Hinblick auf die Frage, ob Menschenrechte in der Soteriologie (russ.-orth.) und damit im Bereich der Moral zu verorten sind oder dem säkularen Bereich zuzuordnen sind (ev.), dass aber alle drei (orth., ev. und kath.) darin überein stimmen, dass Freiheit und Verantwortung untrennbar zusammen gehören. Dabei können Menschenrechte auch miteinander in Konflikt geraten und dürfen deshalb keineswegs absolut gesetzt werden. Man war sich einig darin, dass die Begründungen der Menschenrechte partikular bleiben und damit auch eine Pluralität in den Ansätzen bleibt. Daher können Menschenrechte aber nur in Gemeinschaft sinnvoll umgesetzt werden können.

40 Teilnehmende hatten sich online zusammengefunden, um auf der Grundlage der verschiedenen Impulse diese Fragen miteinander zu diskutieren. Dass ein online-Format durchaus spannend sein kann, zeigen Reaktionen wie die Folgende, die von einem jungen Teilnehmer auf Facebook gepostet wurde: „Vielen Dank an das KI Bensheim für diese tolle Tagung – und an die beteiligten römisch-katholischen, orthodoxen, evangelischen, orientalisch-orthodoxen, adventistischen, pfingstlichen, baptistischen und methodistischen Stimmen!“

Die Beiträge dieser Tagung werden in Heft 3 des „Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts“ veröffentlicht werden.

Ansprechpartnerin

Pfarrerin Dr. Dagmar Heller
Leiterin des Konfessionskundlichen Instituts, Referentin Orthodoxie

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