1. Wovon sprechen wir, wenn wir von Medien sprechen?

1.1 Nürnberg und Medien
Wenn man heutzutage etwas über Nürnberg erfahren möchte, bevor man dort hinreist und mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört, schaut man in das Internet. Man liest den Wikipedia-Artikel über Nürnberg oder schaut sich die Internetpräsenz der Stadt oder Dekanats an.

In diesem Medium Internet erfährt man dann auch etwas über andere Medien, die mit Nürnberg zu tun haben, zum Beispiel über das Stadtmagazin „Nürnberg Heute“ oder von der Ausstellung „Nürnberger Plätze damals und heute“, die im Januar stattgefunden hat. Wer weiterforscht erfährt, dass Nürnberg in 2014 Drehort für den Franken-Tatort war und dass in dieser schönen Stadt fünf bedeutende Archive zuhause sind. Und wer historisch nachfragt, wird schnell erkennen, dass Nürnberg seit über 500 Jahren eine Stadt der Medien ist, dazu später etwas mehr.

1.2 Medienbegriffe
Nicht nur in Nürnberg, sondern allerorten gilt: Unsere Gesellschaft ist durch-medialisiert. Man spricht von einer Mediengesellschaft, vielleicht neuerdings sogar von einer Neue-Medien-Gesellschaft. Es ist also weitgehend zutreffend, was der Soziologe Niklas Luhmann 1998 in seinem Buch „Die Realität der Massenmedien“ als Eröffnungssatz gewählt hat: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“
Wer allerdings von einer Mediengesellschaft spricht, benötigt einen Begriff davon, was er unter Medien versteht. Hierzu kann man ebenfalls gut auf Niklas Luhmann zurückgreifen, der fünf Typen von Medien unterscheidet:

  • Das allgemeine Medium Sinn
    • Damit ist gemeint, dass alles, was kommunikativ passiert, sinnhaft passiert. Niemand, der sich an Kommunikation beteiligt, kann diesen Bereich des Sinnhaften verlassen, sodass gilt, dass auch noch Sinnloses sinnhaft aufzufassen ist.
  • Wahrnehmungsmedien wie Licht und Luft (Bild und Ton)
    • Ohne Luft kein Ton, ohne Ton keine Stimme, ohne Stimme kein Vortrag und ohne Vortrag keine Lutherstunde: so ließe sich das Prinzip des Wahrnehmungsmediums Luft kurz zusammenfassen.
  • Kommunikationsmedien
    • Ein herausgehobenes Kommunikationsmedium ist die Sprache. Sie bringt vor allem Kommunikation – also das, was hier gerade passiert – und Bewusstsein – also sie als Hörer – zueinander. Was ich hier sprachlich äußere, hören sie sprachlich innerlich.
  • Verbreitungsmedien wie Schrift, Buchdruck, Radio, Fernsehen, Internet, umgangssprachlich auch als Massenmedien bekannt.
    • Dazu gleich mehr.
  • Steuerungs- oder Erfolgsmedien (auch: symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien) wie Geld, Macht, Liebe, Glauben usw.
    • Die ist – wie ich finde – die interessanteste Form von Medien: symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien oder kurz Erfolgsmedien bringen ein kommunikatives Angebot und eine kommunikative Nachfrage zueinander. Fachlich gesprochen: Sie bringen eine Selektionsofferte und eine Motivation zur Annahme zueinander und nehmen dafür eine symbolische Generalisierung in Anspruch.

Mit anderen Worten: Ich habe heute Mittag am Schalter der Deutschen Bahn ein Ticket angeboten bekommen und bin dadurch motiviert worden, nach Nürnberg zu reisen. Dafür müsste ich allerdings ein generalisiertes Symbol auf den Tisch legen, das wir umgangssprachlich Geld nennen.
Ein anderes Beispiel für ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium oder Erfolgsmedium ist der Nürnberger Lebkuchen: Wenn die Nürnberger (also die Menschen hier) wollen, dass man ihre Stadt gern hat, dann benötigen sie ein (symbolisches) Medium, das Nicht-Nürnbergern (also z. B. mir) die Stadt lieb und wert macht. Das ist mit dem Nürnberger Lebkuchen (in vielerlei Gestalt) der Fall. Man könnte stattdessen auch die Nürnberger Rostbratwurst einsetzen. Das eine funktioniert saisonal, das andere das ganze Jahr.
Im Folgenden beschränke ich mich ausschließlich auf den Typ der Verbreitungs- oder Massenmedien wie Schrift, Buchdruck, Radio, Fernsehen und Internet. Und das mir gestellte Thema scheint genau darauf abzustellen: „Reformatorische Kirchen – theologisches oder mediales Produkt?“ Unser Interesse gilt nun also dem Miteinander von Reformation und Verbreitungsmedien und hier vor allem dem Verbreitungsmedium Buchdruck.
Definition: Unter Verbreitungsmedien sind allgemein solche technischen Vorrichtungen gemeint, die eine Kontaktunterbrechung in den Kommunikationsfluss einbauen: die also verhindern, dass man ein Kommunikationsangebot direkt aufgreifen oder beantworten könnte. Dies gilt offensichtlich auch für den Buchdruck.
Hierauf sattelt die gängige These auf, dass die Reformation ausschließlich im Verbund mit dem zu ihrer Zeit inzwischen florierenden Buchdruck möglich war. Von daher kann man sagen: Die Reformation war ein Ergebnis des Buchdrucks, die reformatorischen Kirche also ein mediales Produkt.
Allerdings muss man, um einigermaßen haltbare Überlegungen anstellen zu können, alle Medientypen – und so auch die Verbreitungsmedien – an das allgemeine Medium Sinn zurückbinden. Auch Verbreitungsmedien funktionieren nur deshalb, weil sie an der Herstellung von Sinn beteiligt sind. Die Reformatoren haben neue, sinnhafte religiöse Kommunikationen angeboten – und wenn sie dies nicht getan hätten, wären sie kaum gedruckt worden. Von daher ist zu sagen: Die reformatorischen Kirchen sind, insofern es um sinnhafte religiöse Kommunikation geht, ein theologisches Produkt.

2. „Reformatorische Kirchen – theologisches oder mediales Produkt“ bzw. „Die reformatorischen Kirchen und die Medien – Wechselseitige Beziehungen zwischen Medien und Religion“

2.1 Luther und Verbreitungsmedien
Martin Luther ist ein Vielschreiber gewesen. Seine Medien: Briefe und Flugblätter, Empfehlungen und Gutachten, kleine Broschüren und ausladende Bücher, Vorlesungen und Predigten, Gedichte und Lieder, Melodien und Tonsätze, … usw. usf.
Am Rande einige Publikationszahlen zur Kenntnis:

  • „Statistiker kommen auf eine durchschnittliche Jahresleistung von 1800 oder täglich 5 Druckseiten. … Waren 1517 nur zwei Schriften auf Deutsch von ihm erschienen, so 1523 nicht weniger als 346, womit rund zwei Fünftel der etwa 900 auf Deutsch publizierten Drucke dieses Jahres aus der Feder des Reformators stammten. … 1529 publizierte er immerhin noch 60 deutschsprachige Schriften“[1].
  • „Bis 1525 lagen von ihm [Luther; EB] 287 verschiedene Schriften in 1737 Ausgaben, davon 219 deutsche in 1465 Drucken, vor.“[2]
  • Zwischen 1500 und 1530 erscheinen insgesamt rund 10.000 Flugschriftendrucke[3], im Durchschnitt mit einer Auflage von 1.000 Exemplaren[4].
  • Der Preis für einen mehrblätterigen Druck betrug ein Pfund Honig oder ein Pfund Schinken oder einen vollen Stundenlohn eines Handwerkers.[5]
  • „Die wichtigsten Druckorte reformatorischer Flugschriften waren – in der Reihenfolge ihrer Produktionsquoten – Augsburg, Wittenberg, Nürnberg, Straßburg, Leipzig, Erfurt, Basel und Zürich.“[6]

Luther schreibt dies alles und die Drucker ziehen es ihm förmlich mit noch nicht getrockneter Tinte vom Schreibtisch. Allerdings: Luther schreibt und er schreibt auch so viel, weil er weiß, dass es gedruckt und auf diese Weise vielfach verbreitet wird. Seine lobenden Worte über das Verbreitungsmedium Buchdruck sind bekannt.
Was geht hier vor sich? – Luther ist froh, dass der Buchdruck erfunden ist, und der Buchdrucker ist froh, dass es Schreiber wie Luther gibt. Das heißt: Martin Luther bedient sich des Buchdrucks und der Buchdruck bedient sich des Reformators Luthers.
Mit anderen Worten: Die reformatorischen Kirchen sind sowohl ein theologisches als auch ein mediales Produkt. Die Reformation ist ein Medienereignis und die damals neuen Medien (also der Buchdruck) sind ein Reformationsereignis gewesen. Es hat der bis heute florierende Zirkel von Neuigkeiten bzw. Abweichungen und den Medien begonnen.

2.2 Medienereignisse
An der Reformationszeit wird erkennbar, in welcher Weise sich ein Zirkel von Ereignis und Ereignisbericht bzw. von Ereignissen und Medienereignissen herausbildet.
Definition von Ereignis: „In der soziologischen Systemtheorie bezeichnet Ereignis die zeitpunktbezogene, nicht bestandsfähige Einheit der Differenz von Vorher/Nachher in autopoietischen Systemen. Nach dem Ereignis ist etwas anderes möglich als vorher. Genau dieser Unterschied verleiht den Systemelementen trotz fehlender Dauerhaftigkeit ihre operative Anschlussfähigkeit im Zeitablauf. Beispielsweise bestehen Worte nur zum Zeitpunkt des Sprechens und sind danach sofort wieder vergangen. Haben nacheinander gesprochene Worte eine Anschlussfähigkeit, dann ergeben sie einen zusammengehörenden Satz. Der Satz kann nur dann entstehen, wenn die einzelnen Ereignisse (hier: Worte) keine dauerhafte Existenz haben.“[7]
Es passiert etwas, etwas wird beobachtbar, z. B. dass sich ein Mönch eines deutschen Kleinstädtchens Wittenberg mit dem religiösen Zentrum in der fernen Großstadt Rom anlegt. Es gibt etwas mitzuteilen – und die Medien nehmen es in ihrem eigenen Interesse auf.
In diesem Sinne, dass etwas passiert und dass die Medien – damals eben die gedruckten Medien wie Flugblätter, Kleinschriften und Bücher – dieses Ereignis für sich aufnehmen und ihre eigenen Ereignisse daraus formen, kann von der Reformation als von einem Medienereignis gesprochen worden.
Die Reformation hat im Zusammenspiel mit den Druckmedien dabei zugleich ein Exempel dafür statuiert, wie nah sich Religion und Medien sein können, ja wie nah sich Religion und Medien tatsächlich sind, wie stark also religiöse (Aufbruchs-) Kommunikationen auf (neue) Medien und wie stark neue Medien auf sinnhafte Kommunikationen (im Falle der Reformation eben auf religiöse Kommunikationen) angewiesen sind.

3. Reformation bzw. religiöse Reformen und Medien
Das Miteinander von Reformation und Medienentwicklung im 15. und 16. Jahrhundert kann anerkanntermaßen als Medienereignis bezeichnet werden.[8] So schreibt der Theologe Marcel Nieden auf der Seite „Europäische Geschichte online“ des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte (IEG) in Mainz einen umfangreichen Beitrag über die Reformation als Medienereignis.[9]„Die wechselseitige Bedingung von reformatorischer Bewegung und medialer Vermittlung. Sie gehört heute zu den anerkannten mediengeschichtlichen Wissensbeständen, die gerne in Form der conditio sine qua non ausgedrückt werden: ,Ohne Buchdruck keine Reformation!’ Und umgekehrt: ,Ohne Reformation kein Medienereignis!’[10] Medien und Reformation bedingten einander. Die neuen Medien beeinflussten den Gang der Ereignisse, sie bewirkten einen ,Strukturwandel der sakralen Kommunikation’[11].  Umgekehrt bezogen sie ihre Attraktivität entscheidend aus der ,packenden Andersartigkeit’[12] der reformatorischen Theologie und Kirchenkritik. Die Reformation beförderte dadurch wesentlich die Druckproduktion, die Entwicklung neuer medialer Formate und leistete der Volkssprachlichkeit nicht unerheblichen Vorschub.“ (Marcel Nieden, a. a. O.)
Die These ist also, dass die Reformation dank einer neuartigen, weit ausgreifenden und tief durchgreifenden Thematik als Medienereignis funktioniert hat, bis später auch ein personalisiertes Medienereignis daraus werden konnte bzw. wurde.
Vermutlich war aber die thematische Durchsetzungskraft der Reformation von Anbeginn an auch an mediale Darstellungen der handelnden Personen gekoppelt. All denjenigen, die nicht lesen konnten, war insbesondere das Konterfei Luthers durch gedruckte Stiche oder Holzschnitte bekannt.[13]
Die Unterscheidung zwischen thematisch und/oder personell fokussierten Medienereignissen ist aktuell unter anderem deshalb von Belang, weil auch im Zugang auf Luther 2017 – 500 Jahre Reformation zu fragen ist: Stellen wir eher die Person Martin Luther oder eher ein Thema wie die Gottessuche in den Mittelpunkt des Jubiläums? Wobei die Antwort darauf bereits in der Frage mitgeführt wird: Es geht sowohl um die Person(en) als auch um die Themen. So laufen bis heute zwei Stränge von Medienereignissen miteinander und ineinander, nämlich Medienereignisse, die durch bestimmte Themen und Medienereignisse, die durch bestimmte Personen ausgelöst werden.
Auf unser Thema „Reformatorische Kirchen – theologisches oder mediales Produkt?“ gemünzt ist hieraus folgendes festzuhalten:
Zum einen: Auf Oder-Fragen zu antworten ist stets riskant. Man steht in der Gefahr, auf der einen oder anderen Seite herunterzufallen. Ich habe das „oder“ deshalb durch den Hinweis auf einen Zirkel von religiöser Kommunikation und Medien im Sinne eines Medienereignisses ersetzt.
Daher gilt zum anderen:

  1. Die Reformation (und dann auch die Gegenreformation) hat sich des Buchdrucks bedient.
  2. Der Buchdruck hat sich der Reformation (und dann auch der Gegenreformation) bedient.

Beides gilt: Die Reformation ohne den Buchdruck ist in dieser historischen Tiefen- und Breitenwirkung nicht denkbar. Der abgekürzte Beleg dafür lautet: Die reformatorischen Vorläufer wie bspw. Jan Hus konnten keine vergleichbaren Wirkungen entfalten (wie einhundert Jahre später), weil das neue Medium Buchdruck noch nicht vorhanden war. Die Theologie der Vorreformatoren war noch produzierendes Medium und noch nicht mediales Produkt.
Im Übrigen: Die Bedeutung des Buchdrucks gilt auch für den Auslöser der Reformation: den Ablasshandel bzw. die Ablasskampagnen.[14] Zitat: „Werbeplakate, Bullen, Instruktionen der Ablaßkommissare und die Formulare für die Beichtbriefe … verließen die Pressen.“[15] Die Ablassempfänger gingen dann zu einem der im Tross mitreisenden oder vor Ort rekrutierten Beichtväter: „1489 sollen dies in Erfurt 25, in Nürnberg gar 43 gewesen sein“[16], so Thomas Kaufmann in seiner „Geschichte der Reformation“.
Reformation und Medien waren aufeinander angewiesen und haben sich gegenseitig befördert. Die Reformation war sowohl theologisches als auch mediales Produkt. Für dieses Miteinander zweier sich bedingender Komponenten hat sich im medienwissenschaftlichen Fachjargon der Begriff der konditionierten Ko-Produktion bzw. Ko-Evolution (Ko-Entwicklung) eingebürgert.

4. Reformatorische Kirchen und Medien heute

Historisch gesehen haben sich die Kirchen stets mit der Frage nach den Medien befasst, in denen sie religiöse Formen bilden konnten. Eine der prominentesten Ausformungen sind die (sogenannten) media salutis, die Medien des Heils bzw. die Heilsmittel, zu denen wir auf evangelischer Seite insbesondere die Taufe und das Abendmahl rechnen.
Wenn man die Frage nach dem Verhältnis von Glaube bzw. Religion und Medien verallgemeinert – und das müssen wir angesichts der weiteren Kirchen- und Mediengeschichte tun –, dann stellen sich Fragen ein, die uns heute erneut beschäftigen. Unter anderem:

  • Gibt es spezifisch religiöse Medien? Und hat sich die Kirche mit spezifischen Medien verbündet? Zum Beispiel mit dem Buchdruck mehr als mit dem Rundfunk?
  • Gibt es Medien, die für Religion und Kirchen nicht taugen? Dazu zählten immer wieder Bilder oder auch der Tanz (vor allem der Tango).
  • Und: Was machen unterschiedliche Medien mit der Religion – und umgekehrt? Und an welcher Stelle stehen wir heute? Wie verhalten sich mediale und religiöse Entwicklungen zueinander?

Immer dann, wenn neue Medien hervortreten, steht die religiöse Kommunikation vor der Frage, ob und wie eine Nutzung aussehen kann. Aktuell befinden uns in einer Zeit der Ko-Produktion von sinnhafter Kommunikation und Internet, oder allgemeiner: Wir befinden uns in einer Zeit der Ko-Evolution von Gesellschaft und Internet und damit auch einer Ko-Entwicklung von reformatorischen Kirchen und Internet. Mit dieser sowohl einfachen als auch weitreichenden Erkenntnis verbindet sich eine Reihe von Fragen, die in der mir gestellten Thematik verborgen liegt. Eine davon möchte ich abschließend herausgreifen. Sie lautet:
Vor welche neuen theologischen und medialen Herausforderungen stellt das Internet die kirchliche Kommunikation?
Sie bemerken unschwer, dass diese Frage Stoff für mindestens einen weiteren Vortrag hergeben würde. Ich beschränke mich daher auf eine minimale Skizze.
Fragen: Vor welche neuen theologischen Herausforderungen stellt das Medium Internet die kirchliche Kommunikation? Und umgekehrt: Können die Kirchen aus der Dominanz des Internet eventuell neue Impulse oder Schubkräfte für ihre eigenen (stets notwendigen) Reformen ziehen?
Meines Erachtens sind drei Herausforderungen zu nennen:

  • Das Internet als das dominante Medium unserer Zeit bestimmt weitgehend die Formen bzw. Formate, in denen kommuniziert wird: Online-Texte, Blog, Chat, Twitter, Audio und Video, …
  • Zugleich kann jeder den sogenannten Content im Internet mitbestimmen, wenn er denn das Know-how der Formate mitbringt.
  • Und für religiöse Themen gilt: sie sind ein Themenbereich unter vielen. Sie werden sich nur dann wirkungsvoll platzieren lassen, wenn sie den medialen Anforderungen entsprechen. Man mag diese Anforderungen beklagen, aber sie sind zunächst nüchtern zur Kenntnis zu nehmen und dann mit Mut und Geschick umzusetzen. In der Rückwirkung auf die religiöse Kommunikation bedeutet dies unter anderem:
    • Die eigenen Botschaften sind klar zu ziehen. Wie lautet die Nachricht? Welches ist der Informationswert? Können (berichtenswerte) Abweichungen vermeldet werden?

Diese (und andere) Fragen deuten die Chancen und Grenzen religiöser Kommunikation im gegenwärtigen Leitmedium Internet an. Ich nenne eine Grenze und eine Chance.
Die Grenze:

  • Da die Medien in erster Linie mit Abweichungen arbeiten, rücken eben auch entsprechende Themen in den Vordergrund, nämlich all diejenigen, die mittels Inszenierung und Skandalisierung Aufmerksamkeit erregen.
  • Wie aktuell zu beobachten ist, kann dies auf beiden Seiten geschehen: sowohl auf religiöser Seite als auch auf der Seite Nicht-Religiöser, siehe hierzu nur die Vorgänge im Zusammenhang mit dem sogenannten IS und dem Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris.

Die Chance:

  • Genau auf der Grenze liegt auch die Chance religiöser Kommunikation im Internet: Religion kann anhand von Themen oder Personen punktuell zum Medienereignis werden, und zwar am ehesten dann, wenn sie vom Mainstream abweicht.
  • Die Chance liegt darin, dass wir die Mechanismen von Abweichung, Skandalisierung und Personalisierung auch religiös nutzen, und zwar genau in der Weise, wie sie in unserer Botschaft auch angelegt sind … Nicht zuletzt sieht Paulus das Evangelium als ein σκανδαλον Es bedarf dann nur des Mutes und des Maßes, diese Mechanismen auch zu nutzen.

Das mir gestellte Thema: „Reformatorische Kirchen – theologisches oder mediales Produkt?“ habe ich mit einem zweifachen Ja beantwortet: Ja, die reformatorischen Kirchen sind ein theologisches Produkt und sie sind ein mediales Produkt. Dieser Antwort liegt das ebenso einfache wie weitreichende Schema des Zirkels zugrunde: Es bestehen wechselseitige Beziehungen zwischen Medien und religiösen Kommunikationen.
Was dies in den gegenwärtigen Zeiten des Internet bedeutet, scheint bislang allerdings kaum im Ansatz klar zu sein. Dies gilt für religiöse Kommunikation ebenso wie für alle anderen Sinnhorizonte. Tatsächlich erleben wir unter dem Containerbegriff Internet aktuell eine Medienrevolution historischen Ausmaßes. Wir können gespannt bleiben …

 

OKR Dr. Eberhard Blanke, VELKD Hannover (bis Ende Februar 2015),
Vortrag anlässlich der Lutherstunde 2015 – Evangelischer Bund Bayern,
Gedenken des 469. Todestages Martin Luthers am 18. Februar 2015 um 19 Uhr,
im Sebalder Pfarrhof Nürnberg

Anmerkungen:

[1] Schilling, Heinz (2012): Martin Luther, S. 531 ff.

[2] Kaufmann, Thomas (2009): Geschichte der Reformation, S. 307.

[3] Vgl. Kaufmann, Thomas (2009): Geschichte der Reformation, S. 304.

[4] ebd., S. 305.

[5] Ebd. sowie Schilling, Heinz (2012): Martin Luther, S. 242.

[6] Vgl. Kaufmann, Thomas (2009): Geschichte der Reformation, S. 307.

[7] Quelle: Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Ereignis (Aufruf am 10. Februar 2015).

[8] Vgl. einen Überblick zu europäischen Medienereignissen unter http://ieg-ego.eu/de/threads/europaeische-medien/europaeische-medienereignisse/frank-boesch-europaeische-medienereignisse. (Aufruf am 29.01.2015.)

[9] http://ieg-ego.eu/de/threads/europaeische-medien/europaeische-medienereignisse/marcel-nieden-die-wittenberger-reformation-als-medienereignis#InsertNoteID_23 (Aufruf am 11.02.2015). Vgl. insgesamt auch Kaufmann, Thomas (2009): Geschichte der Reformation, S. 100 ff.

[10] Entsprechende schlagwortartig verdichtete Formulierungen finden sich vor allem bei Moeller, Kommunikationsprozeß 2001, S. 88; und Hamm, Medienereignis 1996, S. 157.

[11] Lottes, Medienrevolution 1996, S. 250, 252.

[12] Hamm, Medienereignis 1996, S. 157.

[13] Vgl. Schilling, Heinz (2012): Martin Luther, S. 242.

[14] Vgl. Kaufmann, Thomas (2009): Geschichte der Reformation, S. 82 ff.

[15] Ebd.

[16] Ebd.