„Niemand darf auf ewig verurteilt werden, denn das ist nicht die Logik des Evangeliums!“ Nicht einmal Hans Küng. Obwohl er gewagt hat, die Unfehlbarkeit des Papstes in Frage zu stellen. Doch mit Papst Franziskus weht ein neuer Wind in der katholischen Kirche. Deshalb hat Küng im März 2016 einen Vorstoß unternommen und öffentlich in mehreren Zeitungen und mehreren Sprachen an den Papst appelliert, „einer freien, unvoreingenommenen und ergebnisoffenen Diskussion der Unfehlbarkeitsproblematik Raum zu geben.“
Franziskus hat nun geantwortet und Hans Küng ist hoch erfreut. Erstens dass er überhaupt eine Reaktion bekommen hat, zweitens dass der Papst persönlich geantwortet hat und drittens, dass er ihn als „lieben Mitbruder“ bezeichnet. Am Wichtigsten sei aber, dass der Papst in seinem Antwortschreiben seine Hochschätzung bezüglich des Küng‘schen Ansinnens zum Ausdruck gebracht habe, das Unfehlbarkeitsdogma „im Licht der Heiligen Schrift und der Tradition theologisch zu diskutieren mit dem Ziel, den konstruktiven Dialog der Kirche des 21. Jahrhunderts […] mit der Ökumene und der postmodernen Gesellschaft zu vertiefen.“ Vorgaben, die diese Diskussion einschränken, habe der Papst keine gemacht.
Die Freude, die Küng verspürt, ist aus seiner Sicht sehr verständlich und nachvollziehbar. Ob die Antwort des Papstes allerdings einen Aufbruch in eine neue Phase der Ökumene darstellt, darf bezweifelt werden. Sofern man in diesem Papstbrief mehr als die freundliche Antwort an einen prominenten Theologen erkennen darf, ist positiv zu bemerken, dass hier der „jesuitisch-franziskanische“ Stil des Papstes aufscheint.
Der Papst lässt sich beraten, fordert und fördert den offenen Dialog. Er hört sich mehrere, durchaus auch kritische Stimmen an und entscheidet dann. Er geht damit einen synodalen Weg. Dies hat er in Sachen Familienpastoral so gemacht und dies scheint seine Zukunftsvision für die katholische Kirche zu sein. Dieser Führungsstill bildet vielleicht auch den Hintergrund der Antwort an Küng.
Was soll es aber konkret bedeuten, wenn ein Dogma, also ein von Gott offenbarter und von der Kirche mit lehramtlicher Autorität verkündigter Glaubenssatz, neu diskutiert wird? Ein Dogma zu revidieren, würde bedeuten die Fragen nach der Kontinuität im Glauben stellen. Hat die Kirche damals geirrt oder irrt sie heute? Aber die Kirche kann in ihrer Gesamtheit laut katholischer Lehre doch gar nicht irren!
Der Brief an Hans Küng scheint demnach wirklich nur einen Freiraum zu eröffnen, in dem neu diskutiert werden darf. Immerhin! Und traurig genug, dass man offensichtlich schon dankbar sein muss, wenn man diskutieren darf. Erschüttert spürt man der Reaktion Küngs auf die Antwort des Papstes ab, wie mangelhaft es um das Gesprächsklima in der katholischen Kirche noch vor wenigen Jahren bestellt gewesen sein muss. Wenn Küng nur allein dafür einen „tief empfundenen Dank“ verspürt, dass Franziskus eine Diskussion erlaubt, lässt das bedenklich stimmende Rückschlüsse zu. Muss man als Wissenschaftler überhaupt um Erlaubnis fragen, wenn man eine Frage diskutieren will? Noch ist ja nichts Substantielles geschehen. Ein Papst hat daran erinnert, dass er nicht alles entscheiden muss (AL 3). Und die Tatsache, dass allein diese Aussage schon zu Ausbrüchen der Dankbarkeit führt, zeigt doch, wie überladen das Papstamt in der katholischen Kirche gesehen wird. Von daher ist es doch sehr wohltuend, einen Papst zu erleben, der nicht den Kontakt zur Realität verloren hat.
Konkrete Erwartungen sollten aber erst dann ernsthaft formuliert werden, wenn – wie Küng selbst wünscht – „Bischöfe, Theologinnen und Theologen“ sich daran machen, diesen Freiraum auch wirklich zu nutzen. Momentan scheint aber nicht absehbar, dass das Dogma der Unfehlbarkeit in dem neuen Geist des Papstamtes „endlich frei, unvoreingenommen und ergebnisoffen“ auf breiter Front diskutiert werden wird.
Dr. Paul Metzger