
Philipp Melanchthon
Auch 2021 kann es leicht passieren, dass man viele Entwicklungen in den Bewegungen der Reformationszeit übersieht. Der schon 2017 übermächtige Martin Luther strahlt weiterhin. In diesem Jahr sind der Reichstag in Worms und der Aufenthalt auf der Wartburg die bestimmenden Orte für die Erinnerung an Luther. Vor dem Kaiser und den Mächtigen des Reiches knickt der Mönch aus Wittenberg nicht ein. Seine Vorstellungen möchte er nicht widerrufen.
Ein unerhörter Vorgang, der ihm die Reichsacht einbringt. Er ist vogelfrei und kann von jedermann getötet werden. Kurfürst Friedrich der Weise lässt seinen Schützling auf die Wartburg oberhalb von Eisenach bringen und dort nutzt er die Zeit, um das Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen. Soweit Luthers Biographie im Jahr 1521.
Während Luther im Versteck des Thüringer Waldes ausharrte, mussten seine Freunde und Getreuen die Stellung in Wittenberg halten. Zu nennen ist Karlstadt, der versuchte, die Umsetzung der reformatorischen Ideen in Kirchen und Gottesdienst zu beschleunigen. Und vor allem Philipp Melanchthon, der zu Unrecht in den Schatten Luthers gestellt wird. Seine Arbeit für die Reformation war nicht minderbedeutend und ebenso wichtig wie die seines Freundes.
Spätere Lehrstreitigkeiten trugen dazu bei, ihn nicht mehr ausreichend würdigen zu können. Vieles haben Luther und Melanchthon diskutiert und gemeinsam entwickelt. Dennoch war Melanchthon ein eigenständiger Denker, der sein eigenes Verständnis theologischer Sachverhalte hatte. Nur bei Melanchthon machte Luther eine Ausnahme, er konnte seine Eigenständigkeit akzeptieren.
In akademischer Hinsicht muss man durchaus sagen, dass Melanchthon für die Universität Wittenberg wichtiger gewesen war – auch wenn Luther als der Star galt. Etwas, das Luther an Melanchthon schätze, war seine Fähigkeit, Dinge systematisch aufzuarbeiten. 1520 verfasste Luther seine – wie wir es heute nennen – Hauptschriften, die sich mit einzelnen Punkten der Lehre befassten. Das muss auch Melanchthon wahrgenommen haben und ihn zu dem Entschluss gebracht haben, eine systematische Darstellung des evangelischen Glaubens anzugehen.

Melanchthon-Haus in Wittenberg
Dazu entwickelte er eine bestimmte Methode, indem er die wichtigen Begriffe, die mit der paulinischen Rechtfertigungslehre verbunden waren, in eine Ordnung brachte. Entsprechend gab er seiner Schrift den Titel „Loci communes“, was man mit „Hauptbegriffe“ übersetzen kann.
Viele Nachfolger Melanchthon bedienten sich dieser Methode, um den christlichen Glauben darzustellen. Melanchthon selbst hat das Buch 1521 herausgebracht und über die Jahre bis 1550 immer wieder verbessert und überarbeitet. 1555 übersetzte er die Loci aus dem Lateinischen ins Deutsche. Schnell wurde das Buch bekannt und diente vielfach als eine Einführung in die Theologie der Wittenberger Reformation. Auch Luther war von dem Werk begeistert und musste zugestehen, dass er zu so einer Leistung nicht fähig gewesen wäre.
In den bewegten Zeiten der Reformation galt Melanchthon auch oft als Verhandlungsführer für die evangelische Seite. Immer wieder setze er sich ein, eine Verständigung mit dem römischen Katholizismus herbei zu führen. Auf dem Reichstag in Augsburg 1530 versuchte er es, was von Luther argwöhnisch aus der Ferne kommentiert wurde. Bei den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg in den Jahren 1540 und 1541 wurde wieder miteinander gesprochen. Ein Ergebnis konnte freilich nicht erzielt werden. So steht Worms eben nicht nur für das kategorische „Nein“ Martin Luthers, sondern auch für den Dialog, wie ihn Melanchthon immer geführt hat.
Dr. Richard Janus